Der Stadtteil Potsdam-West, in dem sich auch der Lottenhof befindet, hatte vor rund 200 Jahren noch nicht seinen heutigen urbanen Charakter. Bis weit in das 19. Jahrhundert hinein war das Gebiet von Weide- und Ackerflächen sowie vereinzelten Landhäusern geprägt. Die spätere Geschwister-Scholl-Straße fungierte damals als Landstraße, die über den Wildpark bis nach Werder führte. Eines der an dieser Straße gelegenen Landgüter trug den Namen „Charlottenhof“ nach seiner Eigentümerin Marie Charlotte von Gentzkow. Obwohl sie lediglich von 1790 bis 1794 im Besitz der Gutsanlage war, blieb der Name bestehen und wurde auch durch den damaligen Kronprinzen Friedrich Wilhelm, den späteren König Friedrich Wilhelm IV., übernommen, als er das Gut 1825 von seinem Vater Friedrich Wilhelm III. als Geschenk erhielt. Nach Entwürfen des Baumeisters Karl-Friedrich Schinkel ließ er auf den Grundmauern des alten Gutshauses von 1826 bis 1828 einen Sommersitz für sich und seine Gemahlin Elisabeth von Bayern errichten, während der Gartenkünstler Peter Joseph Lenné den Auftrag zur Gestaltung der Parkanlagen rund um das klassizistische Schlösschen erhielt. Das direkt an die heutige Geschwister-Scholl-Straße angrenzende Gelände des späteren Lottenhofs wurde von Lenné in einem Gartenplan von 1828 dem Park zugeschlagen. Die Realisierung der Planung scheint jedoch aus nicht näher bekannten Gründen unterblieben zu sein; stattdessen entstand an dieser Stelle im Verlauf des 19. Jahrhunderts eine Baumschule.
Diese Nutzung des Grundstücks hatte bis weit in die Nachkriegszeit hinein Bestand. Erst Ende der 1960er Jahre rückte das Gelände wieder in den Fokus der Aufmerksamkeit, als der Rat der Stadt Potsdam nach einem Standort suchte, an dem eine gastronomische Einrichtung zur Versorgung sowohl der Besuchenden des Parkbereichs Charlottenhof als auch des Stadtteils selbst errichtet werden sollte. Auftragnehmerin sowie Bauherrin des Projekts war die Konsum-Genossenschaft Potsdam-Stadt, die – ähnlich wie die Handelsorganisation (HO) – sowohl Einzelhandelsgeschäfte als auch Restaurants betrieb und dafür unter anderem entsprechende Neubauprojekte initiierte. Dazu zählte beispielsweise das zwischen 1969 und 1974 errichtete Schuhhaus am Potsdamer Platz der Einheit, das in den 1990er Jahren abgerissen wurde.
Im Dezember 1967 besichtigte die zukünftige Bauherrin der Gaststätte das Grundstück am Park Charlottenhof, das sich zu diesem Zeitpunkt im Eigentum der damaligen „Staatlichen Schlösser und Gärten Potsdam-Sanssouci“ befand. Die Besichtigung verlief erfolgreich und bereits Anfang 1968 stand die Konsum-Genossenschaft mit der Verwaltung der Staatlichen Schlösser und Gärten hinsichtlich eines Vorentwurfs im Austausch, da deren Einverständnis erforderlich war, um von der Staatlichen Plan-Kommission die entsprechende Standortgenehmigung zu erhalten. Man wurde sich jedoch rasch einig, denn eine solche Parkgaststätte war auch im Sinne der Staatlichen Schlösser und Gärten, deren damaliger Direktor Joachim Mückenberger seine Bereitschaft erklärte, die Konsum-Genossenschaft bei der Durchführung des Projekts „Café am Eingang Charlottenhof“ nach besten Kräften zu unterstützen. In einem Schreiben an den Vorstand der Konsum-Genossenschaft vom 31. Mai 1968 stellte er fest: „Es ist für uns angenehm zu wissen, daß in Kürze durch diese Versorgungseinrichtung […] ein Teil der berechtigten Besucherwünsche nach besserer Gastronomie in diesem Teil unseres Parks erfüllt wird.“
Da zunächst noch einige auf einem Teilstück des zukünftigen Baugeländes ansässige Kleingartenpächter ihre Parzellen räumen mussten und weiterhin eine Reihe von Linden aus der Baumschule zu verpflanzen war, wurde der Baubeginn für den Anfang des Jahres 1969 in den Blick genommen. Durch den Abschluss eines entsprechenden Nutzungsvertrages zwischen Konsum-Genossenschaft und den Staatlichen Schlössern und Gärten wurde die Bauherrin nicht nur dazu verpflichtet, für die Errichtung und die Unterhaltung der Gaststätte Sorge zu tragen, sondern auch dazu, sämtliche Bauzeichnungen des neuen Gebäudes der Überlasserin vorzulegen und vor der Ausführung genehmigen zu lassen. So behielten sich die Staatlichen Schlösser und Gärten Potsdam-Sanssouci ein Mitspracherecht bei der Gestaltung des Neubauprojekts vor. Mit den Entwürfen selbst wurde ein Architekturkollektiv der Stadt Potsdam betraut, unter der Führung des damaligen Leiters der Bauaufsicht Karl-Heinz Rönn sowie seiner Kollegen Werner Berg und Heinz Wenkel.
Noch im Jahr 1968 wurden zwei Vorentwürfe angefertigt sowie durch die Konsum-Genossenschaft und den Rat der Stadt Potsdam eine Vergrößerung des anfänglich angedachten Raumprogramms beschlossen. Die gemeinsamen Überlegungen führten schließlich zu der Entscheidung, ein aktuelles Konsum-Gaststättenprojekt der Stadt Halle an der Saale zur Wiederverwendung am Potsdamer Standort zu nutzen. Es handelte sich dabei um die Selbstbedienungsgaststätte „Saaleaue“, die 1968 nach Entwürfen des Architekten Ferdinand Hübner und seiner Mitarbeiter Schulze, Zacher und Wahrmund anlässlich der vom 14. bis 16. Juni desselben Jahres ausgerichteten 10. Arbeiterfestspiele der DDR auf der Peißnitzinsel eröffnet worden war. Da die Arbeiterfestspiele für den Staat eine große kulturpolitische wie auch propagandistische Bedeutung hatten, wurde dafür ein ganzes Ensemble von Neubauten errichtet, zu dem neben einer Messehalle und einer Freilichtbühne auch ebenjene Selbstbedienungsgaststätte der örtlichen Konsumgenossenschaft gehörte.
Das Hallenser Gaststättenprojekt sah die Gliederung in einen pavillonartigen, großzügig verglasten Mittelbau mit dem zentralen Gastraum sowie niedrigeren, funktional gestalteten Wirtschaftsflügeln vor, die das Gebäude rückwärtig sowie seitlich einfassten. Eine wichtige funktionale Anforderung an den Entwurf war es, den Saal von eingestellten Stützen freizuhalten. Die bauliche Lösung in Form eines Seiltragwerks war dabei auch gestalterisch anspruchsvoll: Das Flachdach aus Stahlbeton wurde an Stahlseilen von zwei Pylonen abgehängt, die mit ihrer markanten Silhouette den Saal zu beiden Seiten überragten und durch eine leuchtend blaue Farbgebung einen zusätzlichen Akzent setzten. Gestalterisch zeichnete sich das Projekt durch seine Modernität aus und lehnte sich deutlich an den so genannten Internationalen Stil an.
Mit diesem Begriff wird eine Strömung der Nachkriegsarchitektur beschrieben, die mit modernen Baustoffen, Material- und Farbkontrasten und einer leichten und dynamischen Formensprache in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre auch in der DDR Einzug hielt, nachdem hier bis zum Tode Josef Stalins im Jahr 1953 noch die staatliche Doktrin der stalinistischen Architektur vorherrschte. Mit der kulturpolitischen Neuausrichtung rückten neben den neuen Baustoffen und Gestaltungsformen auch neue Konstruktionsweisen in das Blickfeld des Architekturgeschehens in der DDR. Für die stützenfreie Überspannung großer Räume oder Hallen wurden verschiedene Konstruktionsweisen für Flächentragwerke entwickelt beziehungsweise erprobt. Dazu zählten auch Seiltragwerke, bei denen Stahltrossen die Dachlasten in Wandscheiben, Masten oder Pylonen ableiten.
Das in Potsdam wiederverwendete und weiterentwickelte Bauprojekt der Gaststätte „Saaleaue“ stellt nicht nur ein anschauliches Beispiel dieser bautechnischen Entwicklung dar, sondern spiegelt mit seiner modernen Formensprache, den großflächigen Fensterbändern und den für seine Zeit hochwertigen Baumaterialien – goldfarben eloxierte Aluminiumfensterrahmen, Parkett- sowie Kunststeinböden und holzvertäfelte Innenwände – auch sehr charakteristisch die Architekturströmung des Internationalen Stils wieder.
Die Wiederverwendung eines an anderer Stelle ausgeführten Bauprojekts, das bereits die damaligen Kontrollinstanzen der Bauwirtschaft und Baupolitik passiert hatte, war in der DDR der 1960er Jahre bei dem allgegenwärtig herrschenden Materialmangel und der als Reaktion darauf staatlich forcierten Industrialisierung des Bauwesens keine Seltenheit. So entstand nach dem Vorbild der Selbstbedienungsgaststätte „Saaleaue“ in Halle nicht nur die Potsdamer Gaststätte „Charlottenhof“, sondern noch ein weiterer Gastronomiebetrieb in Nebra an der Unstrut.
Für die Wiederverwendung des Entwurfs am Potsdamer Standort wurden die grundlegenden Planungen in funktionaler und konstruktiver Hinsicht übernommen. Im Unterschied zum Prototyp in Halle sowie dem Exemplar in Nebra wurde dem Funktions- und Wirtschaftsbereich hier allerdings eine sehr viel größere Bedeutung zugemessen, so dass die kleineren Anbauten des Originalentwurfs in Potsdam zu einem Querflügel erweitert wurden, der fast zwei Drittel der gesamten Gebäudefläche einnimmt. Dieser großzügige Nutzungstrakt bot nicht nur Raum für einen deutlich größeren Küchenbereich, sondern unter anderem auch für einen zweiten Gastraum, der den „Großen Saal“ im Mittelbau ergänzte.
Das Projekt selbst hatte den Charakter eines Initiativbaus. Da für die Baustelle nur wenige reguläre Arbeitskräfte zur Verfügung standen, wurde ein Großteil der Arbeiten von Feierabendbrigaden geleistet. Unterstützung erhielt die Konsum-Genossenschaft außerdem auch vom Bau- und Montagekombinat Ost, dem Zentralen Bereitstellungskontor und der Baustoffversorgung. Im ersten Bauabschnitt wurde ab April 1969 der Wirtschaftstrakt errichtet, 1970 folgte die Ausführung des Saalbaus. Bereits im Mai desselben Jahres konnte der kleine Saal mit der daran anschließenden Terrasse eröffnet werden, im Juli 1971 erfolgte schließlich die Einweihung des großen Saals, der rund 180 Sitzplätze fasste.
Die Gaststätte Charlottenhof entwickelte sich rasch zu einem festen Anziehungspunkt nicht nur für den Besuchsverkehr des angrenzenden Parks, sondern auch als Treffpunkt und Veranstaltungsort des Wohngebiets sowie zur Versorgung der Schüler- und Rentnerspeisung im Stadtteil.
Erst die politische Wende brachte einen gravierenden Umbruch mit sich, nachdem die Einrichtung in die Verwaltung der Treuhandanstalt übergegangen war. Die kontinuierliche Nutzung als Gaststätte beschränkte sich nun auf den Westflügel, in welchen in den 1990er Jahren das Restaurant „Trattoria Toscana“ einzog, während der Saalbau von der Diskothek „Charly“ genutzt wurde. Die Eigentümerschaft für Grundstück und Gebäudebestand wurde zunächst dem Bund zugesprochen. Erst Anfang der 2000er Jahre gingen sie als Teil des Parks Charlottenhof in die Verwaltung der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg über.
Nachdem sowohl Diskothek als auch Trattoria ausgezogen waren, verfiel die ehemalige Konsum-Gaststätte in einen ungewollten Dornröschenschlaf, der Verfall und Verlust mit sich brachte. Durch bürgerschaftliches Engagement erwachte das Gebäude ab 2014 wieder zum Leben. In freiwilligen Arbeitseinsätzen erfolgte die Beräumung des Grundstücks und des Gebäudes von Unrat. Ein Teil der Räume wurde wieder in einen nutzbaren Zustand versetzt und wird seitdem durch das Stadtteilnetzwerk Potsdam West e.V. als Nachbarschaftstreff genutzt. Mit dem 2019 gegründeten Förderverein Lottenhof e.V. erhielt das Stadtteilnetzwerk Unterstützung bei der Entwicklung der Liegenschaft zum Nachbarschaftshaus „Lottenhof“. Unter der Bauherrenschaft der Landeshauptstadt Potsdam (LHP) und mit Mitteln des Bundesprogramms „Nationale Projekte des Städtebaus“ sowie der Landeshauptstadt selbst soll das Gebäude zu diesem Zweck grundsaniert und umgebaut werden. Das Projekt „Lottenhof – Ostmoderne am Eingang des Weltkulturerbes“ wird vom Stadtteilnetzwerk Potsdam West e.V. als Nutzerin sowie von der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg als Eigentümerin begleitet.
Im Laufe der Geschichte der ehemaligen Konsum-Gaststätte Charlottenhof haben die verschiedenen Umbrüche, Umnutzungen und Zeiten des Leerstands ihre deutlichen Spuren an dem Gebäude hinterlassen. Trotz der bisher unterbliebenen Grundsanierung oder vielleicht auch gerade deshalb hat sich das Gebäude in einem Zustand erhalten, in dem die originale Bausubstanz noch anschaulich von seiner Entstehungszeit und den damaligen gestalterischen Ansprüchen an seinen Standort vor den Toren des Parks Sanssouci zeugt.
Der Prototyp dieses Wiederverwendungsprojekts, die Gaststätte „Saaleaue“ in Halle, wurde im Jahr 2003 abgerissen; das zweite Exemplar in Nebra im Rahmen seiner Umnutzung zu einer Jugendherberge stark verändert. Das macht den heutigen Lottenhof zu einem Bauwerk mit architekturgeschichtlichem Seltenheitswert, das gleichzeitig zahlreiche Lebenserinnerungen der Menschen aus dem Stadtteil Potsdam-West in sich birgt – und diese in Zukunft auch weiterhin bewahren soll.